Der nach dem Nasenbären

0
232
Passat B4
Nicht spektakulär, aber inzwischen echt ein Gesicht in der Menge

Volkswagen bewies in den späten 80er Jahren Mut und gestaltete den damals neuen Passat B3 nach dem Vorbild des „Auto 2000“ – was den Käufern und der Presse ein Lächeln ins Gesicht trieb. Der Nachfolger Passat B4 sollte ab 1993 gefälliger und besser werden. Was vor allem der riesige „Variant“ heute noch kann, sehen wir uns in einem kleinen Test einmal an.

Die konservative Mittelklasse

In den 90er Jahren war ein Volkswagen tatsächlich noch so etwas wie ein Wagen für’s Volk. Die Wolfsburger Modellpalette galt durch die Bank weg als robust, grundsätzlich zuverlässig und für viele Geldbeutel erschwinglich. Der Passat, schon seit 1973 der etwas größere Golf für die Mittelklasse, sorgte in keiner Baureihe für sonderliche Schlagzeilen. Er war einfach da, funktionierte, bot eine Menge Platz und hatte nicht vor, mit irgendeinem Fahrzeug in Nachbars Garten zu konkurrieren.

Passat B4
Die klassische Kante der 90er Jahre

Die damals ungewöhnliche Front des von 1988 bis 1993 gebauten B3 hatte keinen Kühlergrill. Die Luft kam durch Schlitze unter dem Stoßfänger, die Ansaugluft für die Verbrennung zogen die Triebwerke durch das mittig angebrachte VW-Zeichen. Dieses im Volksmund als „Nasenbär“ bezeichnete Aussehen bereinigte die große Überarbeitung des B4, die Blinker wanderten in die Stoßfänger und ein freundlich lächelnder Kühlergrill und viele andere optische Veränderungen brachten das Fahrzeug zurück auf die konservative Schiene.

Kühlergrill
Bitte lächeln! Der B4 hatte wieder einen Kühlergrill.

Passat B4 – alles sollte besser werden

Im Inneren wurden die Polster und Stoffe überarbeitet, die Armaturen und Schalter geändert und auch die als sehr hakelig geltende Seilzugschaltung verbessert. Airbags mit Gurtstraffern sowie ABS wurden Serienausstattung, und mit dem 1.9 Liter TDI Motor kam erstmals im Konzern ein Diesel Direkteinspritzer mit Turboaufladung unter die Haube, der ein bisher nie dagewesen günstiges Verhältnis aus brutalem Drehmoment und geringem Verbrauch zauberte. Mit einer Vielzahl von Sondermodellen in den buntesten Farben und Ausstattungen buhlte Volkswagen um die Käufergunst. Höchst erfolgreich, wie sich herausstellen sollte. Von den Bändern in Emden rollten während der Bauzeit mehr als 990.000 Fahrzeuge.

Passat B4
Nicht schön, aber sagenhaft viel Platz

Quasi ein Oldtimer

Auch wenn in den gängigen Börsen allein in Deutschland noch immer rund 100 Fahrzeuge der Typen B3 und B4 angeboten werden – selbst die jüngeren Modelle erreichen bald die magische Marke von 30 Jahren. Damit steigen die Preise, denn viele entdecken jetzt „das Auto ihrer Jugend“ wieder und finden mit dem Passat B4 (intern Typ 3A genannt) einen alltagstauglichen, aber nicht mehr ganz alltäglichen Begleiter für um die 2.000 €. Und dass diese Baureihe nicht mit Platz oder Alltagstauglichkeit geizt, zeigt ihre noch immer große Präsenz im Straßenverkehr.

Passat B4
Fertig für die Reise in den Urlaub

Groß und bieder

Ist man aktuelles Design und aktuelle Automodelle gewohnt, springt einen die Sachlichkeit im Inneren eines VW Passat B4 regelrecht ins Gesicht. Auch wenn unser Sondermodell „Pacific“ mit weißen Tachoscheiben und einer Klimaanlage versucht, einen Hauch Weltgewandtheit in die graue Plastiklandschaft zu zaubern, es gelingt ihm nur mit viel Wohlwollen seitens der Insassen. Das ist bei der heutigen Flut von Displays und Informationen wahrhaft nicht schlimm und schon gar kein Manko, man muss sich allerdings erst daran gewöhnen, WIE bieder es hier einhergeht. Tank, Temperatur, Tacho und Drehzahl. Schluss.

Armaturenbrett
Aufgeräumte Armaturen, beim „Pacific“ sogar in weiß

Ein pixeliges Display gibt Aufschluss über die Laufleistung (wenn man es noch lesen kann, die geben gern im Alter mal auf) und mit einigen dicken Schaltern lassen sich diverse Lampen und Verbraucher einschalten, Lüftungssituationen regeln oder Gewichte heben. Zumindest optisch. Für die einen ist die Landschaft aus grauem Kunststoff beleidigend schlicht, für die anderen angenehm entschleunigend. Zumindest ist da nicht viel, was kaputt gehen kann.

Passat B4
Der Passat B4 fährt sich großartig

Platz für 5 und Gepäck

Der VW Passat B4 kann etwas, was heute kaum ein moderner SUV hinbekommt: Er sieht nicht nur recht groß aus – er ist es von innen auch. So langweilig das Gestühl auch daherkommt, man sitzt auch mit 1,90 Metern bequem und ausgestreckt und bietet auch den Fondpassagieren zusätzlich regelrecht epischen Platz. Das zusätzliche Raumangebot im Variant, wie bei VW traditionell der Kombi heißt, ist wie gemacht für lange Urlaubsreisen mit der ganzen Familie. Ich selbst bin in dem Modell zum Beispiel von Kiel aus an die Côte d’Azur und in den Norden Finnlands gefahren, immer mit viel Platz und ohne Probleme.

TDI
Der erste TDI! Zuverlässig und sparsam.

Diesel, verstoßen aber nicht vergessen

Neben den robusten Benzinmotoren ist vor allem der TDI-Motor inzwischen sowas wie eine Legende. Erst mit 90 PS, später auch mit 110 PS bringt er diesen kernigen, aber nicht aufdringlichen Nagelsound, der blindes Vertrauen assoziiert. Mit der 5-Gang Schaltung erreicht der Wagen gute Geschwindigkeiten, zieht kraftvoll aus dem Keller durch und begnügt sich bei moderater Fahrweise mit 5 Litern auf 100 Kilometern. Ich stieg von einem versoffenen W 124 Sechszylinder auf den TDI um und begann, nach über 1.000 gefahrenen Kilometern auf der Tankuhr rumzuklopfen. Noch immer viertel voll? Geht das? Ja, das geht. Der Motor ist heute auch beliebt bei VW T3 Bulli Umbauten, wer also einen hat, gibt ihn lieber nicht mehr her.

Passat B4
Nicht spektakulär, aber inzwischen echt ein Gesicht in der Menge

Alter versus Zuverlässigkeit

Kraftfahrzeuge sind nicht dafür konstruiert worden, mehr als 30 Jahre durch die Welt zu fahren. Deshalb ist auch ein VW Passat B4 kein niemals kaputt gehendes Wunderauto. Allerdings sind Verschleißteile wie Bremsen, Radlager und Koppelstangen unschlagbar preiswert. Bei den Abgasanlagen wird das Angebot langsam dünn, und je nach Pflegezustand sollte man auch jemanden kennen, der schweißen kann. Untenrum gammeln die Fahrzeuge in den Radkästen und an den Falznähten gern mal im Verborgenen weg.

Aber Hand auf’s Herz – nie war der damals so biedere Volkswagen cooler als jetzt! Und er ist noch nicht zu alt, um täglich gefahren zu werden. Ein zuverlässiges, preiswertes Statement gegen den Einheitsbrei aktueller Modelle. Greift zu, jetzt oder nie!

Passat B4
Blick zurück

VW Passat B4
Karosserieversionen: Limousine, Kombi
Ottomotoren: 1,6–2,9 Liter (55–135 kW)
Dieselmotoren: 1,9 Liter (55–81 kW)
Länge/Breite/Höhe: 4605/1720/1450 mm
Leergewicht: 1300 kg
Produktionszeitraum (D): 1993–1998