Das „luftgekühlte“ Erdbeerkörbchen

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Golf Cabriolet
Die erste Generation kommt schlicht und konsequent daher.

Das Golf Cabriolet trat 1979 eine schwere Erbfolge an: Der luftgekühlte Käfer war bis dahin das beliebteste Cabrio der Welt, seine Kundschaft huldigte der Ikone und war wenig offen für Neues. Auch nicht nach oben, zumal da dieser komische Bügel steckte. Volkswagen zog das durch, der Golf mauserte sich schnell zum Trendsetter und ist heute ein zuverlässiger Oldtimer mit Alltagsqualitäten. Wir gucken uns den mal aus praktischer Sicht an.

Golf Cabriolet
Gerade ein farbiges Verdeck betont die schlanke Linie des Golf Cabriolets

 

Ablösung einer Ikone

„Henkelmännchen“, „Elefantenrollschuh“ und besonders in rot lackiert „Erdbeerkörbchen“ – die Unkenrufe der Luftboxer-Fans waren laut, als Karmann in Osnabrück vor 43 Jahren den Nachfolger des Käfer Cabriolets auf den Markt warf. Der Heckmotor-Käfer war schon lange aus der Zeit gefallen, wirtschaftlich, im Design, seinen Fahrleistungen und seiner Sicherheit. Aber er war Sympathieträger ganzer Generationen, und deshalb baute man ihn lieber noch ein Jahr lang parallel zu seinem Nachfolger. Der wiederum wirkte modern, bot Platz für vier und eine preiswerte, sparsame Großserientechnik.

Golf Cabriolet
Kleine Rücklichter bis zum Schluss – so sah der Ur-Golf ab 1976 aus.

Mit wassergekühlten 70 PS oder gar 110 GTI-PS kam der Fronttriebler gut motorisiert daher, seine unzähligen Ausstattungs- und Lackkombinationen bedienten jedes noch so verspielte Gemüt. Volkswagen textete versöhnlich: „Im Golf Cabriolet geht das luftgekühlte Fahren weiter!“ Und während die Puristen noch immer den Sicherheitsbügel und die nicht ganz versenkbaren hinteren Fenster kritisierten, zogen andere Hersteller nach. Die Cabriolets vom Ford Escort, dem Opel Kadett und dem Peugeot 205 bekamen in den 80ern ebenfalls Überrollbügel.

Golf Cabriolet
Heute stört der Bügel niemanden mehr.

Offen gesagt: Wie eine Kutsche

Das Gefühl, in einer offenen Kutsche zu sitzen und sich von 70 Pferden ziehen zu lassen, gibt’s bei aktuellen Cabriolets nicht mehr. Ihre Verdecke verschwinden meistens komplett im Kofferraum, Überrollbügel springen bei einer Kollision entweder flott nach oben oder werden durch eine stabile A-Säule unnötig. Beim Golf der ersten Generation muss man das wuchtige Verdeck noch AUF das Heck falten und unter eine Persenning stopfen. Sicht nach hinten: nein. Aber wenn der Fahrtwind um die Nase weht fühlt es sich pur und richtig an.

 

Zeitgeist in Großserie

Die Konsequenz des „Weiterbauens“ hatte bei Volkswagen damals Tradition, und als im Sommer 1983 der Golf III vorgestellt wurde ging’s mit dem Cabriolet einfach unverändert weiter. Warum auch nicht, es verkaufte sich wie geschnitten Brot, allein in den ersten 10 Jahren fanden über 250.000 Stück einen Käufer oder eine Käuferin. Ab 1987 kam der Zweitürer mit einem Rundum-Spoilersatz, breiteren Stoßfängern und allerhand Plastikspeck etwas wuchtiger daher und vertritt heute den Zeitgeschmack so stilsicher wie ein weißes Sakko mit schmalem Lederschlips.

Golf Cabriolet
Kleine Klappe, recht viel (Platz) dahinter.

Egal welche Ausstattung oder welches Baujahr, ein Golf Cabriolet bietet vier Personen einigermaßen Platz und macht nicht nur Spaß, sondern ist auch als Reisewagen auf der Autobahn durchaus einsetzbar. Das fünflagige Verdeck schließt, wenn es nicht gerissen ist, sauber und windschnittig ab.

Lediglich der Kofferraum ist ein wenig… kleiner. Aber es passt trotzdem mehr rein als in die lustigen Komplettdach-Versenk-Mobile.

Cabriolet
Herein herein. Vorn ist viel, hinten mäßig Platz.

Sag doch einfach: Wir fahren Golf

Alles an einem alten Golf ist Golf. Das klingt abgedroschen, aber wer mal einen fuhr weiß was gemeint ist. Die buchhalterische Übersichtlichkeit der damaligen VW Palette von Golf, Passat oder Scirrocco war schlicht, aber wertig und funktional. Heute, im Zeitalter von patronisierenden Assistenzsystemen und bunten Displays wirkt ein so aufgeräumter Armaturenträger regelrecht entschleunigend.

Cabriolet
Die blendfreien Gläser sind etwas… entgegenkommend.

Die frühen Instrumente tief in ihren Köchern, wegen der Form der Abdeckgläser im Volksmund „Tittentacho“ genannt, verströmen fast schon italienische Sportlichkeit. Ein Golf Cabriolet war damals kein Auto, um mit der ganzen Familie nach Spanien zu fahren. Und dafür kauft man es sich auch heute nicht. Es ist der Go-Kart Spaß des dachoffenen Kurvenräuberns, den andere Zeitgenossen erst später hinbekamen. Das geht auch 2022 noch ganz hervorragend!

VW
Vier Personen passen in den Golf, wenn sie wollen.

Schwachstellen

Wie alle Autos aus den 70ern leiden die frühen Golf Cabriolets schon lange an der mangelnden Rostvorsorge, was aber nach vier Jahrzehnten auf deutschen Straßen nicht wundert. Ab 1986 wurde das deutlich besser, aber die klassischen VW- und Audistellen gibt’s immer. Radläufe, Schweller, Achsaufnahmen und die Scheibenrahmen verdienen einen Blick. Dome, Stehbleche und das lange Tankrohr rosten auch gern. Wenn das Verdeck noch das erste ist, wird es brüchig und einigermaßen dahingeknickt sein. Ersatz findet man in vielen Farben und Formen.

VW
Zäher, rauer Bursche. 70 PS reichen für dieses Auto völlig.

Technisch gibt es außer den üblichen Verschleißhinweisen keine, wirklich gar keine Ausreißer. Die Motoren sind genügsam und robust, sie neigen bei hohen Laufleistungen genau wie die Getriebe zum leichten Ölen. Klassiker aller alten Autos sind Achsmanschetten, Radlager, Traggelenke und Spurstangen. Je nach Motorisierung und Baujahr kann man sich beim Golf Cabriolet noch entscheiden, ob man sich mit einer zickigen K-Jetronic oder einem divenhaften Pierburg Vergaser auseinandersetzen will. Aber so ganz ohne Aber wäre doch öde, oder?

VW
Schlicht ist heute irgendwie schön.

Ersatzteillage

Hier zeigt sich der Riesenvorteil des Millionen-Modells und des VW Baukastens. Nahezu alle Verschleißteile gibt es in mehreren Varianten im Zubehör, egal ob Bremsen, Achsteile, Auspuffanlagen oder Kühlsystemkomponenten. Da ist und bleibt es eben ein Golf. Für ganz spezielle Anfragen hilft auch VW Classic Parts, Verdecke werden von Spezialfirmen nachgefertigt. Die übersichtliche Technik lässt sich mit ein wenig Schraubergeist selbst warten und reparieren, man kommt überall gut ran und alle Komponenten sind sinnvoll verbaut und erreichbar. Es war die Hochphase des biederen, aber pflegeleichten German Engineering.

 

Fazit:

Natürlich lässt sich ein Golf Cabriolet nicht als Erbe des Käfer Cabriolets sehen. Das muss es aber auch nicht. Jede Zeit hat ihre Autos, und die des Käfers war mit einem Jahr Schonfrist anno 1980 vorbei. Die erste Golf Generation ist längst im H-Kennzeichen Alter angekommen. Niemand lacht das Henkelmännchen mehr aus, uns sogar die werksverspoilerten Faceliftcabrios haben ihre treuen Fans. Die neue Offenheit lässt sich sparsam und zuverlässig sogar durch den Alltag bewegen.

Cabriolet
Heute lacht niemand mehr über das bei Karmann gebaute Cabriolet.

Unter 5.000€ bekommt man nur Bastelbuden oder aufgegebene „Projekte“, über 15.000€ bewegen sich nur noch Zustands-Unikate, scheckheftgepflegte Ersthand-Schönheiten mit niedrigen Kilometerständen oder realitätsfremde Träumer. Dazwischen findet man eine Menge offenen Spaß mit viel Potenzial. Wertverlust wird’s keinen mehr geben, im Gegenteil. Lasst uns wieder offen sein. Der nächste Sommer kommt bestimmt!

Sandmann


Volkswagen Golf 1 Cabriolet Specs:

Bauzeitraum: 1979 – 1993
Karosserie: Cabriolet
Motor: 1,5 Liter Vierzylinder Reihe
Leistung (PS): 70 bei 5.600 1/s

Getriebe: Manuell, 4 Gänge
Höchstgeschwindigkeit: 153 km/h
Leergewicht: 910 kg
Stückzahl: 389.000
Preise 2022: 5.000 € – 20.000 €