Ein Daimler im Kreuzfeuer?

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Chrysler
So sehen nur Retro-Amis aus. Sehr cool, oder?

Der Chrysler Crossfire war ein mutiges Konzept des DaimlerChrysler Konzerns, Traditionsunternehmen Karmann baute in Osnabrück die Coupés und die Roadster. Was macht der deutsche Design-Amerikaner heute mit einem? Was sind seine Qualitäten, was seine Macken? Wir haben uns auf einen subjektiven Youngtimertest eingelassen.

 

Anders als die anderen

Autos, die irgendwie anders aussehen haben für viele ihren Reiz. Sie polarisieren fast immer, und schon während ihrer Produktion und auch danach bildet sich gleichermaßen eine treue Fangemeinde wie das Lager derer, die ablehnen oder lachen. Optisch ist der Crossfire auf jeden Fall ein Hingucker! Man mochte ihn damals sofort – oder man hat ihn einfach nicht weiter beachtet, was nicht schwerfiel, viele sind mit dem Zweitürer nie rumgefahren. Der Chrysler lief zeitlebens unter dem Radar der „normalen“ Neuwagenkäufer, denn er war weder familientauglich noch vernünftig in irgend einer Form.

Chrysler
Die Silhouette mit Buckel ist einzigartig.

Diese Kriterien machen den Crossfire nach fast 20 Jahren zu einem interessanten Youngtimer-Objekt: Die Einstiegspreise für den Retro-Renner sind relativ gering, die Ersatzteillage noch ganz okay und der Auftritt sticht heute jeden Porsche 911.

 

Chrysler mal zwei

Der Crossfire ist ein wahrgewordenes Konzeptfahrzeug, was (Konzernbaukasten sei Dank) als Basis den Mercedes-Benz SLK der Baureihe 170 hat. Zwei Motorvarianten: Ebenfalls von Mercedes kommt der ausgereifte Sechszylinder M112 mit 3,2 Litern Hubraum, den es nur als Sauger mit immerhin 218 PS oder als SRT6 mit sagenhaften 335 Kompressor-PS gab. Der hatte, um im Konzernsprech zu bleiben, quasi AMG Niveau und auch viel Technik aus Affalterbach an Bord!

Auto
Doppelter Mittelauspuff – darf’s ein bisschen mehr sein?

Zwei Karosserien: Ein Jahr nach der Präsentation des Coupés wurde der Roadster mit elektrischem Stoffverdeck nachgelegt, die vorhandenen Versteifungen des offenen SLK schrien ja förmlich danach. Mehr Varianten gab es nicht. Zwei Getriebe: Als Basis rührten die Piloten in der manuellen Sechsgang-Box rum oder bestellten die etwas teurere Mercedes Fünfgang-Automatik mit Tipshift. Den SRT6 gab’s ausschließlich ohne Kupplungspedal.

 Armaturenbrett
SLK mit einem Hauch USA. Der Tacho hält fest, was er verspricht.

Kopffreiheit auf Sportwagenniveau

Wenn man sich durch die langen Türen in das Coupé geschält hat, würde man ziemlich gut beledert sitzen – vorausgesetzt, man misst nicht 1,90 Meter. Nach oben ist einfach kein Platz. Für große Menschen sind also eine Art Liegesitzposition oder das dauerhafte Wegknicken des Kopfes nötig. Da muss die Liebe zum Auto also schon echt groß sein.

Chrysler
Immer hereinspaziert, aber bitte nicht so nach oben.

Das wiederum kann schnell passieren, denn die umfangreichen, übersichtlichen Armaturen und das sportliche Ambiente haben schon echt Stil. Eigentlich sitzt man in einem SLK, nur die Mittelkonsole ist etwas anders beknopft und das Lenkrad wirkt fremd. Nach vorn erstreckt sich die überlange Motorhaube, und nach hinten geht der schmale Blick durch die kleine Heckscheibe in einer der coolsten Heckklappen dieser Zeit. Coolness statt Übersicht. Der Crossfire wurde eindeutig gebaut, um mehrheitlich vorwärts zu fahren.

Wagen
Die Nähe zum SLK macht den Chrysler Crossfire wertig.

Kein Rennauto, aber…

Und vorwärts fahren geht mit einem Chrysler Crossfire ziemlich gut. Das MB Triebwerk drückt auch schon in der Nicht-Kompressor-Variante gut vorwärts, allerdings nicht in der wilden Entfesselung, die man von diesem optischen Supercar erwartet. Es sieht amerikanisch-flotter aus als es am Ende ist, aber es ist trotzdem wirklich flott. Der Doppelauspuff röchelt heiser, aber nicht aufdringlich. Das Fahrwerk ist straff, aber nicht polterig. Die sechs Gänge legen sich sehr hakelig ein, wer das nicht mag sollte nach der butterweichen Automatik suchen.

Chrysler
Der V6 ist keine Wundermaschine – ist aber ausgereift und kraftvoll.

Die Kegelumlauflenkung ist indirekter als eine Zahnstangenlenkung, aber wir können bei Einstiegspreisen um die 5000€ durchaus ein paar Perfektions-Abstriche machen. Der Crossfire macht Spaß, sowohl in der Stadt als auch über Land. Nur zu eng sollten die Gassen nicht werden, der Wendekreis von 11,5 Metern hat LKW Niveau. Der Verbrauch des „normalen“ M112 liegt mit gut 10 Litern Super in einem akzeptablen Bereich. Die meisten anderen Autos in der gleichen Klischee-Schublade genehmigen sich wesentlich mehr.

 

Schwachstellen

So richtig typische Schwachstellen, bei denen alle empört aufschreien, gibt es beim Chrysler Crossfire nicht. Seine Daimlerwurzeln und der Zusammenbau bei Karmann haben einen insgesamt qualitativ hochwertigen Chrysler entstehen lassen, der die Rostproblematik verschiedener Mercedes-Modelle aus den späten 90ern nicht mehr teilt. Unter Dichtungsgummis, an den Türkanten oder der Heckklappe findet man manchmal was, aber werden wir nicht alle älter?

Fahrzeug
Dieses Heck! Diese Klappe! Wer’s mag hat ein einzigartiges Auto!

Anfangs gab es Probleme mit den Batterien, das dürfte sich aber inzwischen erledigt haben. Wenn der Crossfire noch die erste drin hat solltet ihr die ins Batteriemuseum schleppen. Auch der Mercedes R 170 Roadster ist ein grundsolides Auto, also beschränken sich die Besichtigungen tatsächlich auf die „üblichen Verdächtigen“. Funktionieren alle Helferchen? Klappert nichts bei 120 und ziehen die Bremsen gerade? Sind Motor und Hydraulik überall dicht?

 

Ersatzteillage

Beim Chrysler Crossfire muss man ein bisschen findiger sein als bei „Autos von der Stange“. Hilfreich ist natürlich, dass auf fast 40% der verbauten Teile eine Ersatzteilnummer von Mercedes-Benz steht, was auf die SLK Wurzeln zurückführt. Geht es also um sehr spezielle Ersatzteile, werden Clubs und Foren sicherlich helfen können. Nicht ganz so einfach zu bekommen sind die Schalldämpfer und der Wasserkühler, fast alle anderen Verschleißteile sind preiswert und sofort lieferbar. Schaut euch einmal unsere Infografik an, sie gibt einen groben mittleren Preis für die aufgelisteten Teile.

Chrysler

Fazit:

Der Crossfire ist ein im Kern solides Auto, was eine Menge Spaß für zwei Personen bereit hält. Bei einem Fahrzeug dieser Klasse geht es eher um das „Wollen“ und das „Mögen“. Für einen schmalen Taler ist man auffällig, aber nicht aufdringlich unterwegs und hat bei guter Pflege sicher keinen Wertverlust mehr. Allerdings auch keinen großen Wertgewinn, denn es ist und bleibt ein 76.000 Mal gebauter Chrysler. Aber geht es denn immer darum? Nein. Beim Chrysler Crossfire sicherlich nicht. Mit dem kann man Cruisen und weiß, dass man auch ankommen wird. Auch das kann nicht jeder der anderen garantieren 😀
Ab 2004 gab es noch das Sondermodell „Black Line“, anders als der Name suggeriert eine preiswertere, abgespeckte Variante. Parallel bot die „Silver Line“ (zu der auch unser Fotomodell gehört) Carbon-Optik, DVD Navi und CD-MP3-Wechsler an. Als die Produktion 2007 endete, trennten sich auch Daimler und Chrysler wieder. Das wird aber nicht am Crossfire gelegen haben.

 

Chrysler Crossfire Specs:
Bauzeitraum: 2003 – 2007
Karosserie: Coupé, Roadster/Cabriolet
Benzinmotoren: 3,2 Liter M112
Leistung (PS): 218/335 bei 5700/6100 1/s
Höchstgeschwindigkeit: 250/255 km/h
Stückzahl: 76.045
Preise 2022: 5.000 € – 15.000 €