Tempolimit von 30 km/h in Großstädten – Gängelei von Umweltschützern?

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Tempolimit
© GettyImages / georgeclerk

Seit geraumer Zeit fordern Umweltverbände und Positionen links der politischen Mitte ein allgemeines Tempolimit von 30 km/h in Deutschlands Großstädten. Doch führen derartige Restriktionen nicht zu mehr Staus und verlangsamen den Verkehrsfluss im Straßenverkehr?

 

Warum sollen die Temporegeln für Autos in Großstädten weiter ausgeweitet werden?

Zunächst einmal ist anzumerken, dass die Forderungen nach einem Tempolimit von 30 km/h in Großstädten keineswegs neu sind. Sie existieren bereits seit Jahren. Sie fragen sich nun zurecht, aus welchem Grund in letzter Zeit diese Postulate wiederkehrend Gehör finden. Der Grund hierfür ist zum einen, dass die Auswirkungen des Klimawandels immer sichtbarer werden und Maßnahmen gegen diese Entwicklung umso dringlicher erscheinen. Zum anderen erlegen verschiedene Gerichte den Städten die Umwidmung von Hauptverkehrsstraßen auf. Dies geschieht, um Dieselfahrverbote zu vermeiden. Die Stadt Mainz ist in diesem Zusammenhang ein Paradebeispiel. Aber wie sinnvoll ist das Ganze überhaupt? Falls Sie das Gefühl haben, als Autofahrer zum Feindbild der Gesellschaft zu avancieren, sind Sie nicht alleine.

 

Führt Tempolimit 30 für Autos in Großstädten zu weniger Schadstoffausstoß?

Das ist das Hauptargument der Umweltschutzverbände und verschiedener politischer Parteien. Kritiker hingegen merken an, dass das Fahren mit 30 km/h einen niedrigeren Gang als die Fahrt bei Tempo 50 voraussetzt und folglich zu einer größeren Umweltbelastung führt.

 

Grundsätzlich gilt: Je schneller ein Auto sich im Straßenverkehr bewegt, desto mehr Schadstoffe stößt es aus.

 

Untersuchungen aus diversen Städten wie beispielsweise Berlin zeigen, dass Tempo 30 ausschließlich eine geringe Reduktion des Schadstoffausstoßes bewirkt. Ursächlich ist die Behinderung des Verkehrsflusses durch anderweitige Faktoren. Diesbezüglich sind insbesondere Lichtsignalanlagen zu nennen. Bei einem Tempolimit von 30 km/h müssen diese zwingend intelligent geschaltet werden. Bremsen und das Anfahren nach dem Stillstand verursachen Verschleiß und erzeugen einen hohen Energie- sowie Ressourcenverbrauch. Demzufolge ist die künstliche Verlangsamung des Verkehrsflusses wenig Nachhaltigkeit und ein diametraler Gegensatz zu Klimaschutz.

Im Straßenverkehr der Großstädte ist das stetige Beschleunigen ein Treiber des Schadstoffausstoßes. Dies ist in der Stadt jedoch unvermeidlich. Dabei dauern die Beschleunigungsvorgänge bei einem Tempolimit von 50 km/h deutlich länger als bei einer Herabsetzung auf 30 km/h. Ergo sind die Emissionen signifikant größer. Die Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h hilft bei der Reduzierung der Stickoxidemissionen.

Als Möglichkeit, den Straßenverkehr in Großstädten nicht übermäßig zu belasten und eine intelligente Ampelschaltung zu ermöglichen, werden Pförtnerampeln vorgeschlagen. Solche Lichtsignalanlagen erlauben nur einer begrenzten Zahl von Autos die Einfahrt in den innerstädtischen Bereich. Sie können sich das anhand der Einlasskontrolle bei einem Kino vorstellen. Ist der Saal voll, wird kein Zuschauer mehr hineingelassen.

 

Führt die Reduktion des Tempolimits auf 30 km/h zu weniger Unfällen im Straßenverkehr der Großstädte?

Auch hier gilt:

Mit geringerer Geschwindigkeit sinkt in der Regel die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verkehrsunfalles. Allerdings sind diese in der Stadt oder auf dem Dorf ohnehin seltener als exemplarisch auf der Autobahn.

Paradoxerweise ereignen sich Verkehrsunfälle innerorts jedoch doppelt so häufig wie außerorts. Mutmaßlicher Grund sind mehr Verkehrsteilnehmer, welche auf kleinerem Raum unterwegs sind.

Fakt ist, dass der Anhalteweg bei einer Fahrt mit 30 km/h deutlich kleiner ist als beim Fortbewegen mit 50 km/h. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit, in einer Gefahrensituation zum Stehen zu kommen, größer.

Auch wenn die Unfalltoten seit Jahren bei gleichzeitig steigendem Verkehrsaufkommen kontinuierlich sinken, ist dies kein Grund, den Trend zu stoppen.

Die Überlebenschance von Fußgängern bei einer Kollision mit einem Auto ist bei einem Tempolimit von 30 km/h höher. Bei einem Zusammenstoß mit 60 km/h ist das Überleben so gut wie ausgeschlossen.

Zudem werden Gefahren im Auto beim Fahren mit 30 km/h besser wahrgenommen als bei 50 km/h. Die bloße Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit führt allerdings nicht zwangsläufig zu weniger Unfällen. Die Unfallforschung der Versicherer fand heraus, dass in Münster 86 Prozent aller Verkehrsunfälle an Kreuzungen oder Einmündungen mit Ampelanlagen stattfanden.

Die die Verkehrssicherheit erhöhenden Konzepte müssen sich demnach auf jene Schwerpunkte fokussieren.

Um schwächere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer zu schützen, sind überdies von der Fahrbahn baulich getrennte Schutzstreifen sinnvoller. An Kreuzungen muss abbiegenden Kraftfahrern die Gefahr einer Kollision mit Radfahrern verdeutlicht werden.

 

Führt die Regel Tempo 30 zu mehr Staus in den Großstädten?

Ein oft wiedergegebenes Argument gegen die Einführung von Tempo 30 in Großstädten ist die Befürchtung von zusätzlicher Staubildung. Die Vermutung, dass eine Straße mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h weniger leistungsfähig ist, scheint nicht abwegig.

Maßgeblicher Faktor der Kapazität von Straßen in den Großstädten sind die Kreuzungen mit ihren Ampelanlagen. Die Dauer, von deren Grünphasen bestimmen, wie viele Autos in der Lage sind, den Knotenpunkt zu passieren. Diese verändert sich bei der Reduktion des Tempolimits nicht.

Der andere Aspekt ist die sogenannte Sättigungsverkehrsstärke. Sie bezeichnet den zeitlichen Fahrzeugabstand, mit dem die Autos die Lichtsignalanlage passieren. Wird der Mindestabstand beachtet, bleibt die Sättigungsverkehrsstärke unabhängig von Tempo 30 oder Tempo 50 gleich. Diese beträgt etwa 2.000 Fahrzeuge pro Stunde.

 

Führt Tempolimit 30 zu längeren Fahrzeiten in der Stadt?

Die größte Befürchtung vieler Autofahrer ist, dass die innerstädtischen Fahrzeiten sich erhöhen. Rein rechnerisch ist diese Annahme korrekt. Um 100 Meter zurückzulegen, benötigen Sie bei 50 km/h 7,2 Sekunden wären es bei 30 km/h 12,0 Sekunden sind. Pro 100 gefahrener Meter ergibt sich ein Zeitverlust von 5,2 Sekunden. Auf einer typischen Kurzstreckenfahrt von 5 Kilometern sind das bereits 4 bis 5 Minuten.

In der Praxis existiert eine Konstantfahrt in Großstädten jedoch nicht. Der Verkehrsfluss wird fortwährend gestört. Sei es durch Ampeln, ein- oder ausparkende Kraftfahrzeuge oder die Post, welche auf der Fahrbahn hält. Darüber hinaus sorgen rote Ampeln für zusätzliche Fahrtzeiten.

Untersuchungen des ADAC ergaben Reisezeitverluste von 2 bis 4 Sekunden pro 100 Metern bei einem Tempolimit von 30 km/h. Um den Zeitverlust zu begrenzen, muss die Reduktion der Geschwindigkeit mit der Umgestaltung von Kreuzungen und intelligenten Lichtsignalanlagen verknüpft werden.

 

Ist der Straßenverkehr bei 30 km/h nicht genauso laut wie vorher?

Insbesondere die Anwohner in Großstädten sind lärmgeplagt. Sie lamentieren über Lärmbelästigungen durch Autos und illegale Rennen. Autofahrer hingegen argumentieren, dass sie bei 30 km/h in einen niedrigeren Gang schalten und sich die Lautstärke ihres Fahrzeugs dadurch sogar erhöht.

 

Wie lauten die Fakten?

Immissionsberechnungen belegen eine Geräuschreduktion um 3 Dezibel, wenn Pkw 30 km/h anstatt 50 km/h fahren. Dies hört sich wenig an, ist für das menschliche Ohr aber eine bedeutende Differenz.

Lärmmessungen in Frankfurt am Main ergaben, dass nachts bei einem Tempolimit von 30 km/h die Geräuschbelastung im Schnitt um 2 Dezibel sank. Zwischen 5 und 6 Uhr morgens, in der kritischen Phase für Stadtbewohner, sank der Lärmpegel um 4 Dezibel.

Ähnliche Ergebnisse lieferten Untersuchungen aus Berlin, Zürich und Mainz.

Die Entgegnung, dass in niedrigen Gängen die Lärmbelastung steigt, scheint damit vorerst widerlegt. Inwiefern die Reduktion der Geräuschkulisse um 2 bis 4 Dezibel einen merkbaren Unterschied macht, können nur die Anwohner feststellen.

Alternativ bietet sich an Schwerpunkten der Lärmbelästigung die Asphaltierung der Fahrbahn mit Flüsterasphalt an.

 

Tempolimit: Alles nur Gängelei?

Im Kern möchten die Städte ein Dieselfahrverbot vermeiden. Aus diesem Grund reduzieren sie die Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h im innerstädtischen Bereich. Zudem müssen sie dem Druck der Anwohner und der Gesellschaft nachgeben, die immer mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz fordern. Zumindest in einigen Punkten belegt die Wissenschaft einen messbaren Nutzen eines Tempolimits von 30 km/h im Straßenverkehr der Großstädte.